Von Angst
Welche Ziele hat man, wenn man mal einen Marathon gelaufen ist für den zweiten?
2003 bin ich bei über 30°C nach 4:57 (4:59) durchs Ziel am Heldenplatz gejoggt.
Irgendwie war für mich nach einem Leben mit 125 kg und 80 Zigaretten/Tag eine Idee- eine Idee die jeder meiner Freunde und Bekannten für eine Mitternachtseinlage unter schwerer Alkoholeinwirkung hielten- verwirklicht worden.
Ich gebe zu: ich war danach eine Zeit lang in tiefer Euphorie: „ich werde alle Marathons in Europa laufen“, etc. war in meinem Kopf.
Nachdem ich damals das Training wieder aufgenommen hatte war mir bald klar: nie wieder bei höheren Temperaturen Marathon laufen. Und überhaupt: wozu Marathon?
Also lief ich immer brav 30 km die Woche bis 2005. Den Herbstmarathon 2005 in Wien- den wollte ich dann doch mal wieder laufen. Warum? Ich hatte eine Freundin kurz davor in Graz beim HM gepaced und da hat es wieder sehr gejuckt das Feeling vom VCM2003 zu wiederholen. Eine Woche vor dem geplanten Termin Ende Oktober gab eine Sehne meines rechten Fusses W.O. und es dauerte über ein Jahr- trainingslos, 15 kg mehr- bis endlich ein Schimmer am Horizont erschien: ein Arzt der mir fast den richtigen Rat gab.
Den medizinischen Teil spar ich mir jetzt....
Etwa gleichzeitig kam ich zum run42195 Forum.
Dort las ich über einen Daniels den ich mir alsbald besorgte.
Da ich ein Mensch bin, der sich seine Meinung über aller Dinge- wenn geht- selbst macht habe ich gegen alle Empfehlungen den Mr. Daniels als mein Trainingsprogramm gemacht.
Welche Ziele hat man denn nun verdammt mal, wenn man einen Marathon gelaufen ist für den zweiten?
Ich habe die 3:xx zu meinem Plan gemacht. Und da ich weiß, dass ich irgendwie schwach bin auf längeren Distanzen habe ich mal eine VDOT von 3:45 Endzeit „gewählt“. Zur Sicherheit.
Info für alle Daniels- Interessenten: aus meiner Sicht ist das Buch für Menschen Sub 3 geschrieben, aber auch für die hinterste Wapplerklasse wie mich gültig. Und zwar ohne Einschränkung. Zu Beginn des Trainings habe ich mich allerdings sehr geplagt.....
..... 29.4.2007:
10kg weniger- aber noch immer gut im Futter stehe ich am Start:
ich bin nicht arrogant, dass ich die Foristentreffpunkte meide, ich bin einfach ein Solist.... ich brauche meine Ruhe... grundsätzlich und vor solchen Events ohnehin.
Ich habe Angst:
Angst vor der bevorstehenden Wärme.
Angst vor dem Scheitern.
Angst vor meiner angeschlagenen Sehne, die mich ja nach wie vor beim Training begleitet hat.
Angst vor Schmerzen.
Der Startblock A3- in dem ich bin- schiebt sich nach vorne. Pääääääp: es geht los.
Ganz ehrlich war ich aufgrund der Wettervorhersage auf einen Halbmarathon eingestellt. Außerdem wenn man nur einen Halben im Marathontempo läuft ist es recht angenehm und passieren kann auch nicht viel.
Dennoch bin ich den Lauf nicht auf HM angegangen sondern gaaaaanz langsam. Im Schatten des Praters gab ich dann ein bissi Stoff um den Zeitverlust bis KM3 wettzumachen.
Wie ich es vorhergesehen hatte war ich dann planlos: ohne Zeitziel ohne Streckenziel.
Ich bemühte mich meine eigenen Vorgaben einzuhalten: trinken, kein sinnloses Überholen (vor allem beim Start- war aber eh nicht notwendig, weil ich der Bremser war). Beim Eintritt in den inneren Gürtel beschloss ich weiterzumachen zum ganzen Lauf.... allerdings wieder mal ohne Überzeugung: mein längster Lauf war 30 km in der Vorbereitung... wieder mal keimte Angst am Versagen hoch.
Es folgte die Wiederholung meines Prag- HM. Ich wartete aufs Eingehen.
KM20...
KM25...
KM30...
KM35...
Dort war mir dann klar, dass ich mit meinem Tempo noch 2h laufen könnte, überlegte kurz Gas zu geben aber beschloss nichts zu ändern, weil alles so schöööööööön war. Nachträglich stellte ich sogar fest, dass ich zu diesem Zeitpunkt 3-4 Sekunden langsamer wurde.
Den Rest der Strecke war ich mit der Anfeuerung des Publikums beschäftigt....
KM41:
Die Strecke wurde eng.., erstmals in meinem Leben nahm ich das Spalier bei einem Lauf bewusst wahr. Das Publikum ist/war unbeschreiblich hier!
KM42,195:
Glücklich im Ziel zu sein, traurig, dass es schon aus war.... ich wusste es war heute viel mehr drin, aber andererseits ging es mir so gut, dass ich den verlorenen Minuten nicht nachweinte.
Ich bin dann mit der U3 heimgefahren und habe ein paar Bierlis gezwitschert und meine Freundin, die trotz 38° Fieber bei KM 10, 21, 26 und 35 stand, gepflegt.
Mir bleibt... es war nicht so emotionslos wie es da oben steht.... nur Dank zu sagen an meine Tochter Anna und meine Freundin Adriana, die mein Training mitgetragen haben.... weiters meiner phänomenalen Physiotherapeutin, die meine Sehnen in den Griff bekam sowie JD, der mich trotz Wärme problemlosest über die Distanz brachte..
Es ist eben nicht unbedingt so, dass alles was nichts kostet oder nicht weh tut nichts Wert ist.
Es war für mich ein neuer Zugang zum Thema Marathon.... relaxt.... schmerzfrei.... mit Spass 42195m zu bewältigen.